EPOMM e-update April 2019
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Liebe Leserin, Lieber Leser

Mobilitätsarmut betrifft nicht nur Einzelne, sondern unsere ganze Gesellschaft. MobilitätsexpertInnen wollen tiefere Einsichten gewinnen, daher wird das Thema in einer Zahl nationaler und internationaler Forschungsprojekten behandelt. Mobilitätsmanagement kann Mobilitätsarmut deutlich mindern, wie dieser e-Update anhand einiger Beispiele zeigen wird.

 

Was ist Mobilitätsarmut?


© Lucas, Mattioli, Verlinghieri und Guzman


© Andras Ekes, Metropolitan research institute Budapest

Die Definition ist nicht ganz eindeutig, daher gleich zu Begin nein paar Worte dazu: Gemäß einer Studie der University of Leeds “Transport poverty and its adverse social consequences” ist Mobilitätsarmut “der systematische Mangel an (üblicherweise motorisiertem) Transport, der Schwierigkeiten in der Fortbewegung mit sich bringt, oft (aber nicht immer) verbunden mit einem Mangel an Mobilitätsdienstleistungen oder -infrastuktur”.

Mobilitätsarmut ist ein Subkonzept von Transportarmut, einem Forschungs- und Politikfeld, das Mobilitätsarmut, Erreichbarkeitsarmut, leistbare Mobiliät und dem Betroffensein von externen Transporteffekten vereint.

Mobilitätsarmut bezieht sich also auf den systemischen Mangel an Mobilitäts- und Verkehrsoptionen. Große Summen werden in meist autofreundliche Infrastrukturen investiert, die aber unvorteilhafterweise nicht jenen Menschen nutzen, die sich kein Auto leisten können. Im Gegenteil: es profitieren die “Reichen”. Mobilitätsprobleme sind also oft das Ergebnis von Armut und verstärken sie gleichzeitig noch.

Mobilitätsarmut tritt in primärer und sekundärer Form auf. Erstere beschreibt den Mangel an Dienstleistungen und Infrastruktur (geringe Servicequalität, schlechte Frequenz oder Flächenabdeckung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Nicht-Leistbarkeit, Unzugänglichkeit, Informationsdefizite etc.), zweitere beschreibt den Einfluss mangelnder Mobilitätsangebote z.B. auf die (Nicht)Erreichbarkeit geeigneter Arbeitsplätze bzw. steigender Mobilitäts- und damit Haushaltsausgaben, die zu großen Ungleichheiten führen.

Weitere Beispiele primärer und sekundärer Mobilitätsarmut hier.

 

Mobilitätsplattformen erhöhen die Chancen auf einen Job


© WIMOOV


© Platefrome E-Mobilité

In Frankreich organisieren mehr als einhundert lokale Mobilitätsplattformen Maßnahmen zur Verbesserung der Mobilitätsmöglichkeiten betroffener Personen, meist solchen mit sozialen Schwierigkeiten und Herausforderungen, einen Arbeitsplatz zu finden. Diese werden durch SozialarbeiterInnen an die Plattformen verwiesen.

In der Praxis listen die Plattformen alle bestehenden öffentlichen Verkehrsangebote auf und schulen die Zielpersonen in deren Nutzung. Sind die ÖV-Verbindungen nicht ausreichend, wird solidarisches Carpooling organisiert oder auch Leihmopeds bzw. –autos. Manchmal werden auch Mikrokredite zur Anschaffung eines fahrbaren Untersatzes vergeben. Wimoov (auf Französisch) ist nur ein Beispiel für eine derartige Plattform. Deren Aktivitäten reichen inzwischen über das ganze französische Bundesgebiet. Ein weiters Beispiel unter vielen ist die Plate-forme Emploi (auf Französisch) der Rhône Alpen-Region.

 

Programm zur Senkung der Öffi-Tarife in Portugal


© Instituto da Mobilidade e dos Transportes

Portugal hat kürzlich das Programm zur Reduktion der ÖV-Tarife PART (Website auf Portugiesisch) beschlossen, um negative Mobilitätseffekte wie soziale Exklusion, Treibhausgasemissionen, Luftverschmutzung, Lärm und Energieverbrauch einzudämmen.

Nach der Wirtschaftskrise wurden die Gelder für das ÖV-System gekürzt, was eine Erhöhung der Tarife und damit steigende soziale Exklusion, speziell in urbanen Gebieten, zur Folge hatte.

Daher will PART ein Werkzeug zur territorialen und sozialen Kohesion sein, dessen Finanzierungsmodel Gleichheit zwischen den Stadtgebieten Lissabon und Oporto sowie dem Rest des Landes garantiert. PART will mehr Menschen in den ÖV bringen und unterstützt dafür Verkehrsbetreiber bei der Schaffung ausbalancierter Tarifmodelle.

Die Verteilung der Fördergelder zwischen urbanen Gebiete (Lissabon und Oporto) und dem ländlichen Raum hängt u.a. von der Anzahl der ÖV-NutzerInnen sowie von der Komplexität des ÖV-Systems ab.

Folgende Aktivitäten sind förderbar:

a) Unterstützung für die Tarifreduktionen für alle NutzerInnen
b) Unterstützung für die Tarifreduktionen (bis hin zum Nulltarif) für spezielle NutzerInnegruppen
c) Unterstützung für Familienpässe
d) Unterstützung für Tarifänderungen, die aus der Neugestaltung von Transportnetzwerken resultieren oder der Neugestaltung von Tarifsystemen.

Das Institut für Mobilität und Transport überwacht PART und wird im Frühjahr 2020 einen nationalen Bericht zu den Ergebnissen und Auswirklungen auf das Mobilitätssystem erstellen.

 

Gemeinnützige Services bieten Armutsgefährdeten Mobilität in Frankreich


© Les Retz’Chauffeurs

Wenn individueller oder öffentlicher Verkehr nicht vorhanden oder zugänglich ist, bieten Initiativen sogenannte ‘transport of social utility’ (TSU) Lösungen an.

Das Angebot ist an Menschen gerichtet, die begrenzten Zugang zu individueller oder öffentlicher Verkehr haben.

Organisiert wird dies von Verbänden oder lokalen Gebietskörperschaften, die freiwillige LenkerInnen stellen. Wird eine Transportdienstleistung angefragt, stellt der Verband Freiwillige, die den Anfragesteller unterstützen und begleiten. Dafür kann den LenkerInnen auch eine Ausgleichszahlung in Höhe des ÖV-Tarifs bezahlt werden.

Eine der vielen lokalen Initiativen ist Les Retz'Chauffeurs (auf Französisch) mit Angeboten im städtischen Gebiet von Pornic-Pays de Retz (55.000 Einwohner in 14 Gemeinden).

 

Die Niederlande untersuchen Risikoindikatoren für Mobilitätsarmut


© Hollandse Hoogte / Robin Utrecht

Statistics Netherlands (CBS), das nationale statistische Service, hat einen neuen Indikator entwickelt, der das Risiko für Mobilitätsarmut anzeigt. Astrid Kampert, Statistikerin, erklärt:

“Davor wurde einiges an qualitativer Forschung zu Mobilitätsarmut in einer spezifischen Region erledigt. Das CBS, mit einer Menge an Daten für die gesamten Niederlande, hat es den ForscherInnen ermöglicht, das Risiko für Mobilitätsarmut sowohl auf persönlicher als auch auf Nachbarschaftsebene zu beurteilen. Der Indikator setzt sich aus sechs Charakteristika zusammen: Einkommen, Fahrzeugbesitz, Entfernung zum ÖV, Entfernung zu öffentlichen Einrichtungen, physische oder psychische Beeinträchtigung, Alter. Weiters wurde eine Geo-Visualisierung erstellt, die eine Darstellung des Risikoindikators für Mobilitätsarmut für die Städte Heerlen und Utrecht auf Nachbarschaftsebene erlaubt.”

Der entwickelte Indikator ist ein erster Versuch, der die Basis darstellt für weitere Verbesserungen und die Nutzung weiterer Informationsquellen. CBS bittet alle betroffenen Städte, den Indikator mit ihren Erfahrungen und Daten zu ergänzen und zu verbessern. Die Diskussion dazu: Risico op vervoersarmoede (auf Niederländisch).

 

Entwicklung digitaler Werkzeuge zur Verortung von Jobs und deren Erreichbarkeitsoptionen in Belgien


© naarjobsindehaven.be, Nazka Maps

Zugang zu Jobs und Arbeitsmöglichkeiten ist eine der zentralen Dinge im Zusammenhang mit sekundärer Mobilitätsarmut. Diesen zu verbessern ist eine der zentralen Herausforderungen für Politikverantwortliche, um Mobilitätsarmut zu verhindern.

Belgien hat eine digitale Karte entwickelt, die Jobangebote und unterschiedliche Erreichbarkeitsoptionen kombiniert darstellt. (Antwerpen Hafengebiet). Die Karte nennt sich naarjobsindehaven.be und kann übersetzt werden mit “Zu Jobs im Hafen”.

Dieses große und zersiedelte Industriegebiet ist ein wichtiger wirtschaftlicher Anziehungspunkt mit einem ständigen Pool von wenig bis mäßig fordernden offenen Jobangeboten. Geeignete KanditatInnen sind häufig von Mobilitätsarmut betroffen, zumal das Mobilitätsangebot in diesem Areal sehr unterschiedlich ist und oft von konkreten Firmenniederlassungen bestimmt wird. Durch die intelligente Kombination von Job- und Mobilitätsangeboten ist die Karte sehr nützlich für das Arbeitsmarktservice (VDAB) und verschiedene andere Stakeholder.

Vom Erfolg überzeugt wurde ein Nachfolgeprojekt lanciert mit dem Ziel, das “Werkzeug” für die ganze Region Flandern anzubieten ‘Naarjobs.be’ (auf Niederländisch online im Juni 2019). Diese Projekt wurde von Smart Mobility Belgium unterstützt und also von der nationalen Regierung gefördert. Es erlaubt zahlreiche Weiterentwicklungen des erfolgreichen Tools.

 

Drei Europäische Mobilitätsarmutsprojekte sind am Laufen


© H2020 Inclusion

Mobilitätsarmut und die beharrlichen sozialen Auswirkungen bedingen einen echten Paradigmenwechsel: im Zugang zu Mobilitätsystemen, deren Planung und in der Politik. In den letzten Jahren wurden Schritt für Schritt bzw. Pionierprojekt für Pionierprojekt Verbesserungen erzielt, wurde Mobilitätsarmut aus unterschiedlichen Perspektiven erforscht und verstanden. Im Moment laufen drei europäische Projekt zum Thema: Horizon 2020 HiREACH und Inclusion und das SMARTA Projekt (smart rural transport areas). Sie haben alle ihren spezifischen Fokus und Schwerpunkt. SMARTA untersucht die Verbindungen zwischen nachhaltiger geteilter Mobilität und dem ÖV in ländlichen Gebieten, während “Inclusion” an der Zugänglichkeit und Erreichbarkeit (Inklusion) von Mobilitätslösungen in abgelegenen städtischen und ländlichen Gebieten arbeitet. HiREACH wiederum erforscht innovative Mobilitätslösungen, um Mobilitätsarmut zu bekämpfen.

 

Fazit:

 

Von wissenschaftlicher Forschung zu (teils weiter oben dargestellten) innovativen Best Practices tritt das Thema Mobilitätsarmut langsam aus dem Schatten. Herausforderungen aber bleiben, um Inklusion möglichst aller zu gewährleisten: neue Barrieren etwas durch ein vermehrt technologiegetriebenes Mobilitätssystem, die unverhältnismäßig starke Präsenz städtischer Mobilität, und die große frage, wie Mobilitätssysteme für eine stets alternde Bevölkerung gestaltet werden sollen.

Mobilitätsarmut muss Verantwortlichen in allen Politikfeldern bewusst werden, auch als wesentlicher Bestandteil von “Energiearmut”. Mobilitätsarmut ist kein ‘nice to have’ Thema, das mit in paar lokalen initiative abgetan werden kann. Es ist Zeit das Thema in einen breiteren Kontext einzubetten, sowohl finanziell als auch politisch. Wenn wir aus der autozentrierten Mobilitätsdenke des 20. Jahrhunderts herauskommen wollen, in Richtung eines modernen Mobilitätssystems mit dem Menschen im Mittelpunkt muss Mobilitätsarmut an der Spitze unserer Prioritätenliste stehen.

 

Veranstaltungen

Für mehr Veranstaltungen, besuchen Sie bitte den EPOMM Kalender.

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