EPOMM e-update July 2016
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Liebe LeserIn, Lieber Leser,

Wenn Menschen umziehen, sei es in eine neue Stadt oder eine neue Nachbarschaft, ist das der ideale Zeitpunkt, um alte, eingefahrene Mobilitätsmuster zu überdenken und neue, nachhaltigere Verkehrsarten auszuprobieren. Wenn es sich dabei um Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund und Immigranten handelt, haben diese einen anderen Informations- und Ausbildungsbedarf als Zuzügler aus demselben Land bzw. Nachbarländern. Und für die Mehrzahl ist der Zugang zu Alternativen zum Auto essential für Integration und Inklusion in die für sie neue Gesellschaft. In diesem e-update werden wir einige Projekte und Studien vorstellen, die sich mit Mobilitätsmanagementoptionen für neue BewohnerInnen beschäftigt haben, seien diese nun Einheimische oder nicht.

Ein Grund für die allgemeinen aktuellen politischen Unruhen in Europa ist sicherlich die Einwanderungsthematik. Wir wissen, dass dies ein sensibles Thema ist, auch in der Wortwahl und bei Bildern, dennoch ist es unser Ziel, nur ein wenig dazu beitragen, die Situation der Einwanderer zu verbessern. Und wir sind auch froh, dass das Vereinigte Königreich ist nach wie vor Mitglied von EPOMM ist.

Der Begriff "Mobilität" hat eine mindestens zweifache Bedeutung. Er wird verwendet, um die Frequenz oder die Bereitschaft zu Wahl eines neuen Wohnsitzes zu bezeichnen, und "soziale Mobilität" bezieht sich auf eine Änderung des sozialen Status. In diesem e-update werden wir das Wort Mobilität im streng transportbezogenen Sinn verwenden.

 

Ein kleines Zeitfenster für eine große Anzahl von Menschen



Zusammen mit dem Arbeitsplatzwechsel ist der Umzug der Hauptgrund, Mobilitätsgewohnheiten zu ändern (USEmobility Projekt). Vieles an unserem Mobilitätsverhalten ist gewohnheitsmäßig. Diese Gewohnheiten werden automatisch durchgeführt und werden vom Kontext ausgelöst, in dem wir leben. Offensichtlich werden die automatischen Verhaltensweisen vorübergehend „geschwächt“, wenn sich unser Kontext ändert. Dieses Zeitfenster ist jedoch nur relativ kurz geöffnet und schließt sich innerhalb von drei Monaten nach einem Umzug. Aber es wirkt sich auf eine große Anzahl von Personen aus - im Durchschnitt ziehen Menschen etwa alle 10 Jahre um (Angaben von Frankreich, Deutschland und den Niederlanden), also kann man (zumindest statistisch gesehen) innerhalb von 10 Jahren die gesamte Bevölkerung erreichen.

Studien zeigen, wie dieses „window of opportunity“ genutzt werden kann, um Mobilität zu managen.

  • Forscher der Bath University haben festgestellt, dass Menschen die jüngst umgezogen sind, empfänglicher waren für Bewusstseinsbildungsmaßnahmen zu nachhaltigem Verkehrsverhalten. Ein interessantes Detail ist, dass Radfahrer viel stärkere Pendelgewohnheiten entwickeln als Autopendler.
  • Eine ähnliche Studie kommt zum Ergebnis, dass Universitätsangestellte mit hohem Umweltbewusstsein, die unlängst umgezogen waren, das Auto weniger oft zum Pendeln nutzten als jene ebenso umweltbewussten KollegInnen, die nicht umgezogen waren. Es scheint, dass eine Änderung des Kontextes wichtige Werte wieder aktiviert, die unser Verhalten bestimmen.
  • Eine Studie in Aachen, Deutschland (Link auf Deutsch mit englischer Kurzfassung) zeigt, dass Marketing für den öffentlichen Verkehr für neue Anwohnerinnen eine erhebliche Verkehrsverlagerung auf den PT erzeugt.

Der Informations und Sensibilisierungsansatz ist in mehreren Städten ausprobiert worden, die am SEGMENT Projekt teilgenommen haben, z.B. München, Deutschland, Utrecht, Niederlande und Almada, Portugal In Almada diente das in SEGMENT entwickelte Informationspaket für neue AnwohnerInnen als Grundlage für eine neue individualisierte Marketingkampagne, um den ÖV-Anteil in bestimmten Vierteln zu steigern.

 

Haus- bzw. Wohnungssuche


Klicken Sie für die Webseite (in Deutsch)

Vorbeugung ist besser als Heilung. Die Menschen sollten ermutigt werden, eine nachhaltige Wohnstandortwahl zu tätigen, unter Berücksichtigung der Mobilität.

Oft entscheiden sich die Menschen außerhalb der Stadt zu leben, weniger Lärm und Umweltverschmutzung zu haben, niedrigere Wohnkosten, einen Garten, mehr Platz für die Kinder und die Nähe der Natur. Die Auswirkungen des neuen Wohnorts auf ihre Mobilität sind aber gravierend: längere Arbeitswege, hohe Abhängigkeit vom Auto (wegen längerer Strecken und schlechteren ÖV-Angebots), und auch mehr Zeitaufwand und Mühe, um die Kinder zur Schule, zu Freizeit- und Kulturaktivitäten zu bringen. Miete oder Kaufpreise am Land sind günstiger, aber Mobilitäts- und Zeitkosten werden oft unterschätzt und darüber informiert der Immobilienmarkt nicht. Die öffentlichen Verkehrsbetriebe in München, Deutschland, entwickelten das Kalkulationswerkzeug WoMo , um Reisezeiten und Kosten für die individuelle Mobilität zu schätzen, wenn jemand einen neuen Wohnsitz wählt.

Um die versteckten Kosten des Lebens in abgelegeneren Gebieten sichtbar zu machen, hat der Umweltminister in Flandern, Belgien, vor kurzem vorgeschlagen, alle Häuser mit einem „M-Score“ zu bewerten, der wiederspiegelt, wie nahe der Wohnsitz an grundlegenden Einrichtungen liegt ist und wie gut er an das öffentlichen Verkehrs- bzw. und Straßennetz angebunden ist. Derzeit müssen flämische Häuser und Wohnungen (ebenso in Österreich) bereits einen Energieausweis (der sich aber in Österreich rein auf den Energieverbrauch des Gebäudes bezieht, ohne Mobilität)aufweisen, wenn sie am Markt angeboten werden. Die Idee der M-Score wurde von einem Sturm der Entrüstung begleitet und als "bevormundend" und "bürokratisch" bezeichnet.

Eine Studie in Aachen, Deutschland (auf Deutsch, Kurzfassung auf Englisch) zeigt, dass die Menschen einen Einblick in die Erreichbarkeit bzw. Anbindungsqualität von Immobilien schätzen würden: die Mehrheit neuer AnwohnerInnen wäre sehr daran interessiert, ein einfaches Werkzeug zur Verfügung zu haben, um die Anschlussqualität der neuen Immobilie an den ÖV bewerten zu können.

 

Den “typischen” Neuzuzügler gibt es nicht


Von DraconianRain, CC BY 2.0

Der sozioökonomische Hintergrund der Neuankömmlinge hat natürlich einen Einfluss auf ihr Mobilitätsverhalten. Zum Beispiel werden niedrige und mittlere Einkommensgruppen mehr zu Fuß gehen und Rad fahren, wenn die Dichte des Stadtviertels ist höher ist, während hohe Einkommensgruppen eher mehr radeln und zu Fuß gehen, wenn ein Viertel besonders attraktiv ist (phys.org).

Das Bild wird noch komplizierter, wenn wir der Gleichung den kulturellen Hintergrund hinzuzufügen. Das EU-Projekt TOGETHER on the move (2011-2014) fand heraus, dass das Reiseverhalten von Einwanderern ein vernachlässigter Bereich hinsichtlich statistischer Informationen und Forschung ist, obwohl sie bis zu 18 Prozent der Bevölkerung in europäischen Länder ausmachen (mit teils wesentlich höheren Anteilen in Städten). Die meisten Untersuchungen zum Reiseverhalten der Einwanderer kommen aus den USA, aber ähnliche Trends wurden in Europa beobachtet. Gastarbeiter nehmen in der Regel eher nachhaltiger Alternativen als die Solo-Pkw-Nutzung in Anspruch als einheimische Arbeiter (Sungyop Kim, USA), ein Trend , der nicht alleine durch das niedrigere Einkommen zu erklären ist (Ali Modarres, USA) oder der Tatsache, dass sie eher in urbanen Gebieten konzentriert sind mit gutem ÖV-Angebot (Tsang & Rohr, UK). Im Vereinigten Königreich sind Einwanderer generell eher weniger unterwegs als die angestammte Bevölkerung und wenn, dann hsl. zur Arbeit. Trotz dieser nachhaltigen Mobilitätmuster verursacht das Kosten für die Gesellschaft, allerdings geringere als durch das Mobilitätsverhalten der angestammten Bevölkerung (Tsang & Rohr, UK). Eine Deutsche Studie fand einen großen Unterschied zwischen den Geschlechtern, da Einwanderinnen kürzere Distanzen zurücklegen und weniger leicht Zugang zu einem Auto haben als männliche Einwanderer. Auch ist das Fahrrad oft bei Einwanderergruppen weniger beliebt. Laut einer Studie unter Einwanderer in Amsterdam ist einer der Hauptgründe für junge Zuwanderer, nicht mit dem Rad zu fahren jener, dass sie denken, es mach keinene Spaß.

Einige Einwanderergruppen scheinen individuelle motorisierte Mobilität dem ÖV stärker vorzuziehen als Einheimische, ein Indiz dafür, dass sich die Autobesitzrate unter diesen Migranten so schnell wie ihre Einkommen erhöhen wird (Eltis Mobility Update March 2013). In manchen Gesellschaften ist das Auto noch ein wichtiges Statussymbol, eng verbunden mit einer Geschichte von wirtschaftlicher Not (Grozdanov & Ilieva). In jedem Fall nähert sich das Mobilitätsverhalten von Migranten jenem der einheimischen Bevölkerung mehr und mehr an, je länger sie im Land sind (Imran, Yin und Pearce).

 

Sustainable mobility training for immigrants


© FGM-AMOR/AEA – vom Together on the Move Projekt

Der Zugang zu verschiedenen Verkehrsmitteln ist eine Voraussetzung für die Arbeitssuche, für das Gefühl, sozial inkludiert zu sein und um sich erfolgreich in eine neue Gesellschaft integrieren zu können. Die Europäischen Module zur Integration von Migranten zeigen, dass Einführungskurse zu Grundwissen über den Alltag, also z.B. „wie benütze ich öffentliche Verkehrsmittel“, immer ein Teil des Integrationsprozesses sein sollten. Trainingsmaterialien wurden vom TOGETHER on the move Projekt und der Stadt München entwickelt. Es muss in Betracht gezogen werden, dass die Anreise zu einem Kurs und die Bezahlung des Transportmittels bereits eine Hürde für MigrantInnen darstellen kann. Das Verkehrssystem zu verstehen ist nur eine der vielen Hürden, die Neuzuzügler überwinden müssen.

Viele Einwanderer, vor allem Frauen, haben nie gelernt, Fahrrad zu fahren. Radfahrschulen für Erwachsene wie in Belgien, Schweden und Dänemark] eröffnen Sie für diese Menschen eine ganz neue Welt voller Möglichkeiten. Lesen Sie mehr über Erwachsenen-Rad-Trainingsprogramme in diesem PRESTO Fact sheet. Im belgischen Cycling Friends Projekt kommt auf je eine Frau mit Migrationshintergrund, die gerade Radfahren gelernt hat, eine erfahrene einheimische Radlerin und es gibt gemeinsame Radausfahrten. Radverleih Radreparaturshops können solche Projekte ergänzen, wie hier: Minneapolis, USA.

Wenn Einwanderer zwar wissen, wie man Rad fährt, könnte es dennoch sein, dass sie nicht mit den Verkehrsregeln und Sicherheitsvorkehrungen ihrer neuen Heimat vertraut sind. Das City of Lights Project in Los Angeles, USA arbeitet an dem Aspekt der Verkehrssicherheit und versucht auch, Zuwanderer in die Förderung des Radverkehrs und Planungsfragen in ihrer Nachbarschaft einzubinden. Mobilitätsmanagementprogramme bieten auch Chancen für Zuwanderer freiwillig tätig zu sein, zum Beispiel als BetreuerIn in einem PediBus/walking school bus. Freiwilliges Engagement ist ein wichtiger Beitrag zur sozialen Eingliederung von Zuwanderern . Der Transportsektor bietet auch viele Beschäftigungsmöglichkeiten für Einwanderer (The Immigrant Learning Center, USA).

Die irische Einwanderungsbehörde bietet Schulungen für ÖV-Betreiber an, um Verständnis für Gleichheit und Vielfalt im ÖV zu schaffen und mit antisozialem Verhalten im ÖV umgehen zu lernen. Tatsächlich kommen viele Fälle von rassistischen Angriffen im ÖV vor.

 

Flüchtlinge und nachhaltige Mobilität


Foto von Daniel Maleck Lewy, 2005, CC BY-SA 3.0

Der derzeitige Zustrom von Flüchtlingen in Europa ist nicht die erste in der Geschichte und wird wohl nicht der letzte sein. Finden Sie einen exzellenten visuellen Überblick über die großen Flüchtlingskrisen des vergangenen Jahrhunderts hier. Es ist eine herzerwärmende Reihe von Projekten, die Flüchtlinge die verfügbaren Verkehrsarten wie Radfahren nutzen helfen. Einige Beispiele:

  • Das österreichische Jugend Rot Kreuz (auf Deutsch) bietet die Unterlagen für die freiwillige Radfahrprüfung für 10 Jährige mit Hilfe von klimaaktiv mobil nun auch in Farsi und Arabisch sowie Englisch für Flüchtlingskinder an;
  • In London, The Bike Project werden alte Fahrräder für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, und bei der Reparatur sowie beim Radfahren lernen geholfen. Lesen Sie mehr darüber hier.
  • Das Projekt für ältere Zuwanderer und Flüchtlinge in King County/USA zielt darauf ab, die Verfügbarkeit von kulturell und ethnisch entsprechenden Mobilitätsinformationen für ältere Einwanderer und Flüchtlinge zu erhöhen.
  • Weitere Beispiele finden Sie z.B. in Österreich (auf Deutsch) und Australien.

Das Fahrrad spielt auch eine wichtige Rolle in der Flüchtlingskrise als Mittel für rechtmäßiges Überschreiten der Grenzen.

 

Nachhaltige Verhaltensformen entwickeln und festigen



Kurz gesagt, wenn Menschen aus ihrem alltäglichen Kontext genommen werden, sind sie besonders empfänglich für relevante Informationen, um neue Gewohnheiten zu formen. Es gibt einen kurzen Moment der Gelegenheit, der aber ein weit größeres Potenzial hat, als die Organisation von Massenkampagnen für ein Publikum, das bereits in seinen Gewohnheiten gefestigt ist. Für Einwanderer und Flüchtlinge sind vorhandene Informationen meist unbrauchbar und es bedarf spezieller Materialien. Die kurze Übersicht in diesem e-update zeigt, dass es bereits Arbeiten und Projekte dazu gibt das Thema aber immer noch unterrepräsentiert ist, sowohl im Bereich der Forschung als auch bei (europäischen) Mobilitätsprojekten.

 

Veranstaltungshinweise

 
  • CIVITAS Forum Konferenz
    28-30 September 2016 – Gdynia, Polen
    www.civitas.eu

Für weitere Veranstaltungen besuchen Sie bitte den EPOMM Kalender.

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