EPOMM e-update July 2020
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Liebe Leserin, lieber Leser,

Luftverschmutzung und Verkehrsstaus gehören zu den Hauptursachen einer schlechten Lebensqualität in Städten und verstärken die Sorge mancher Menschen hinsichtlich der negativen Auswirkungen des Verkehrs auf Gesundheit und Wohlbefinden in urbanen Gebieten.

Mehrere europäische Städte ergreifen ehrgeizige Maßnahmen, um den Nahverkehr zu verbessern und eine nachhaltige Mobilität zu fördern. Gleichzeitig engagieren sich Bürgerinnen und Bürger, um sich Gehör zu verschaffen und sich aktiv bei der Entwicklung der Nahverkehrspolitik einzubringen.

Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt dieses EPOMM e-update auf Initiativen, Projekten und Strategien, die Bürgerinnen und Bürger nicht nur als Datensammler, sondern auch als Datengeber, -eigentümer und broker betrachten.

Autor: Fred Dotter, Mobiel 21, im Auftrag von EPOMM

 

Bürger heute motivieren, die nachhaltigen Städte von morgen zu bauen


Quelle: freepik.com

Citizen Science (Bürgerwissenschaft) ist ein schnell wachsendes Feld, das eng mit den Konzepten der offenen Wissenschaft sowie der sozialen und offenen Innovation verbunden ist. Zwar gibt es keine klare und etablierte Definition, in der Regel aber wird Citizen Science als ein partizipativer Prozess verstanden, der durch Einbindung der Öffentlichkeit in die Wissenschaft und durch Förderung alternativer Modelle der Wissensproduktion gekennzeichnet ist (siehe auch Hecker et al., 2018, Citizen Science – Innovation in Open Science, Society and Policy).

Die meisten Ansätze von Citizen Science haben ein gemeinsames Ziel: Zusammenarbeit mit den Bürgern, um wissenschaftlich wertvolle Informationen zu sammeln und zu analysieren. Es wächst jedoch das Bewusstsein, dass dieses Wissen über wissenschaftlichen Bereiche hinaus auch für die Gesellschaft von Nutzen ist. Denn es kann dazu beitragen, evidenzbasierte öffentliche Politiken zu beeinflussen, die Einhaltung und Auswirkungen dieser Politiken zu überwachen, die Entwicklung von MINT-Kompetenzen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) bei Nicht-Fachleuten zu fördern sowie das Gefühl der Eigenverantwortung und Zusammenarbeit zwischen den Bürgern zu stärken (siehe auch Fischer, 1993, Citizen participation and the democratization of policy expertise: From theoretical inquiry to practical cases).

Es gibt vier gemeinsame Merkmale der Citizen-Science-Praxis:

  1. Jeder kann teilnehmen.
  2. Die Teilnehmenden verwenden das gleiche Protokoll, sodass Daten kombiniert werden können und eine hohe Qualität aufweisen.
  3. Daten können den eigentlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern helfen, zu tatsächlichen Schlussfolgerungen zu gelangen.
  4. Eine große Gruppe von Wissenschaftlern und Freiwilligen arbeitet zusammen und tauscht Daten aus, auf die sowohl die Öffentlichkeit als auch andere Forscherinnen und Forscher Zugriff haben.
 

Co-Creation fördert Partizipation



Co-Creation im Allgemeinen und Citizen Science im Besonderen binden Bürgerinnen und Bürger ein, damit sie Probleme in ihren eigenen Stadtvierteln untersuchen, Alternativen entwickeln, Probleme lösen, gemeinsam Lösungen umsetzen und ihre Auswirkungen überwachen. Bei all diesen Arten von Beteiligung ist es wichtig, die Dimensionen von ‚Responsible Research and Innovation‘ (RRI), also von verantwortlicher Forschung und Innovation, zu berücksichtigen:

Bei Public Engagement, also der Partizipation der Öffentlichkeit, geht es darum, gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern als auch Organisationen der Zivilgesellschaft die Zukunft zu gestalten und eine möglichst große Vielfalt von Akteuren einzubeziehen, welche normalerweise in Fragen der Wissenschaft und Technologie nicht miteinander interagieren würden.

Open Science und Open Access, also die offene Wissenschaft und der offene Zugang, sind zu einer Kernstrategie geworden, um einen Wissensaustausch und damit Innovationen zu fördern.

Gender Equality, die Gleichstellung der Geschlechter, ist ein Querschnittsthema, das einen stärker integrierten Ansatz für Forschung und Innovation gewährleistet.

Ethik (Ethics) ist ein wesentlicher Bestandteil der Forschung während des gesamten Prozesses, und die Einhaltung ethischer Grundsätze wird als entscheidend dafür angesehen, reale Forschungsleistungen zu erzielen.

Science Education, die naturwissenschaftliche Bildung, ist eine innovative Möglichkeit, Wissenschaft mit der Gesellschaft zu verbinden und sie für junge Menschen attraktiver zu machen.

Weitere Informationen finden Sie im Horizon-2020-Projekt NewHoRRIzon, mit dem RRI auf nationaler und internationaler Ebene verstärkt in Forschungs- und Innovationssysteme integriert werden soll.

 

Wissenschaft und Gesellschaft durch neue Ansätze und Ideen inspirieren


Quelle: freepik.com

Citizen Science hat das Potenzial, der Gesellschaft, den Menschen, politischen Entscheidungsträgern und Forschenden eine Vielzahl von Vorteilen zu bringen. Citizen Science kann die Wissenschaft gesellschaftlich relevanter machen, die Produktion neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse beschleunigen bzw. ermöglichen, den politischen Entscheidungsträgern helfen, die Umsetzung und Einhaltung von Richtlinien zu überwachen, das öffentliche Bewusstsein für Wissenschaft und Eigenverantwortung bei der Politikgestaltung erhöhen – und nicht zuletzt der evidenzbasierten Politikgestaltung zu einer stärkeren Verbreitung verhelfen.

In ihrem Kurzdossier “Citizen Science policies in the European Commission“ identifiziert die Plattform Network of National Contact Points for Science with and for Society in Horizon 2020 die folgenden fünf Hauptvorteile, die Citizen Science mit sich bringt:

  1. Verbesserung der naturwissenschaftlichen Grundbildung und Kritikfähigkeit
  2. Demokratisierung des Forschungsprozesses
  3. Generierung neuen Wissens und Förderung neuer Forschungsformen
  4. Motivation junger Menschen, wissenschaftliche Laufbahnen einzuschlagen
  5. Ausbau der Kompetenzen von Forscherinnen und Forschern
 

Citizen Science for Europe




 


 



EU-Citizen.Science – Plattform für Citizen Science in Europa

Das Ziel von EU-Citizen.Science ist es, eine nachhaltige Plattform und einen Raum für gegenseitiges Lernen aufzubauen, mit Inhalten zu füllen und den Austausch zu fördern. Es werden verschiedene Instrumente, Best-Practice-Beispiele und relevante wissenschaftliche Ergebnisse angeboten, die gesammelt, aufbereitet und vielfältigen Interessengruppen zugänglich gemacht werden, um Citizen Science in Europa zu etablieren – bei interessierten Bürgerinnen und Bürgern, wissenschaftlichen Institutionen, Politikern und Medien.

CONCISE – Kommunikation zur Wahrnehmung und zu Meinungen der EU-Bürger über die Wissenschaft

CONCISE zielt darauf ab, eine europaweite Debatte über Wissenschaftskommunikation entfachen, an der ein breites Spektrum von Stakeholdern beteiligt ist – von Medien bis zu politischen Entscheidungsträgern, von Wissenschaftlern bis zu Unternehmen, von Wissenschaftskommunikatoren bis zu Organisationen der Zivilgesellschaft. Es wird qualitatives Wissen durch Bürgerbefragungen zur Verfügung gestellt, und zwar zu den Mitteln und Kanälen, über die EU-Bürgerinnen und Bürger ihr wissenschaftsbezogenes Wissen erwerben, und dazu, wie dieses Wissen deren Überzeugungen, Meinungen und Wahrnehmungen beeinflusst.

RRI2SCALE – Ökosysteme von Responsible Research and Innovation (RRI) auf regionaler Ebene für intelligente Städte, Verkehr und Energie

Erfolgreiche regionale Forschungs- und Innovationspolitiken (Research and Innovation – R&I) sind erforderlich, um eine nachhaltige und wirtschaftliche Entwicklung mit höherer Inklusivität und verbesserter Lebensqualität zu erreichen (das sogenannte regionale Dilemma). RRI2SCALE hat eine Methode zur Unterstützung dieser regionalen R&I-Systeme geplant, um den Herausforderungen des regionalen Dilemmas effektiv zu begegnen. Das Projekt analysiert den Grad der Integration von verantwortungsvoller Forschung und Innovation (RRI) in vier EU-Regionen sowie die Komponenten der territorialen R&I-Ökosysteme. Es fördert den Dialog, um die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der Interaktion zwischen RRI und R&I zu verstehen.

WeCount – Live-Verkehrszählung durch Bürgerinnen und Bürger

WeCount soll Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, selbst eine tragende Rolle bei der Erstellung von Daten und Wissen rund um die Mobilität in ihren eigenen Stadtteilen und Straßen zu übernehmen. Die Initiative setzt auf partizipative bürgerwissenschaftliche Methoden, um gemeinsam innovative, kostengünstige, automatisierte Sensoren für die Straßenverkehrszählung (im Konkreten „Telraam“) zu entwickeln und einzusetzen, und auf Mechanismen zur Einbeziehung vielfältiger Interessengruppen in fünf Pilotprojekten, und zwar in Dublin, Cardiff, Leuven, Ljubljana und Madrid.

Das WeCount-Projekt baut auf den Erfahrungen von „Telraam“ auf, das im folgenden Artikel näher erläutert wird.

 

Telraam: Das Fenster zum lokalen Verkehr



Bisher war Verkehrszählung für viele Bürgerinnen und Bürger ein blinder Fleck. Telraam arbeitet aktiv daran, sie auf der einen Seite einzubeziehen und auf der anderen Seite gute Verkehrszahlen zu liefern. Dabei kümmert sich Telraam um die Forschungsarbeit und die Technologie, während die Bewohnerinnen und Bewohner die Daten liefern. Die Vorteile liegen darin, dass die Teilnehmenden sich über den Verkehr auf ihrer Straße informieren und gleichzeitig den Behörden zu realen Verkehrszahlen verhelfen. Die Daten können dafür verwendet werden, Infrastrukturen, Ampeln und Verkehrsmanagementpläne effizienter und effektiver zu gestalten. Auf diese Weise werden blinde (Daten-)Flecken durch Citizen Science aufgedeckt.

Telraam entwickelt hochtechnologische und zuverlässige Messgeräte, die interessierten Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt werden. Diese bekommen auch Unterstützung bei der Einrichtung ihrer eigenen vollautomatischen Verkehrszähler. Nachdem sie diese an ihren Fenstern montiert haben, kann die Verkehrszählung beginnen. Alle gesammelten Zählungen werden für die Politikgestaltung und Forschung verwendet, aber auch allen Einwohnern und Interessenten zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise gibt Telraam den Bürgerinnen und Bürgern die Kontrolle über die lokale Mobilitätspolitik und macht es möglich, dass jeder dazu beitragen kann.

 

Crowdsourcing für den urbanen Radsport mit „PING if you care!“


© Mobiel 21, Bike Citizens

Jedes Mal, wenn wir als Radfahrende am Verkehr teilnehmen, können unangenehme Erlebnisse Auftreten. Diese Erfahrungen spielen eine Rolle bei unserer zukünftigen Verkehrsmittelwahl, das heißt, ob wir mit dem Erlebten umgehen können oder vielleicht in der Folge auf das Fahrrad verzichten. Mit der Plattform PING if you care! sollen Radfahrende in solchen Situationen unterstützt werden. PING ist einfach anzuwenden (eine App zum Verfolgen von Fahrten, eine Schaltfläche zum Markieren von Orten, eine Liste zum Auswählen von Kommentaren), schnell (ein Ort wird durch Drücken der Taste markiert, ohne anhalten zu müssen) und universell (User wissen instinktiv, wann oder was sie „pingen“, also markieren, sollen).

PING erfasst die Eindrücke und Erfahrungen von Radfahrenden auf ihren täglichen Wegen. Die Sammlung von Fahrraderlebnissen wird auf einer Karte festgehalten, die von der Crowd kommt und auch von der Crowd validiert wird. Dies macht eine Analyse möglich, die Fahrraddaten mit subjektiven Daten korreliert und in Informationen und Erkenntnisse umwandelt. Diese Crowdsourcing-Kampagne ermöglicht eine direkte und transparente Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen der Stadtverwaltung und den Radfahrenden. PING if you care! bietet somit eine Möglichkeit, aktiv an der Verbesserung des städtischen Radverkehrs teilzunehmen.

 

Lockdown durch Coronavirus kurbelt Citizen-Science-Projekte an


Quelle: freepik.com

Viele Citizen-Science-Projekte können von jedem Telefon oder Computer aus durchgeführt werden (siehe z. B. Telraam). Angefangen bei der Zählung von Autos oder Pinguinen bis zur Kartierung von Sonnenkollektoren können Menschen, die während der Pandemie zu Hause bleiben, zur Erforschung des Klimawandels beitragen.

„Es geht darum, dass man etwas Kleines tun möchte, das zu etwas Größerem beiträgt. Das kommt bei den Menschen gut an“, meint Chris Lintott, Astronom an der Universität Oxford und Mitbegründer von Zooniverse, im Gespräch mit Climate Home News.

Nicht nur in Bezug auf Verkehr und Mobilität, sondern etwa auch zum Coronavirus (Covid-19) gibt es zahlreiche Citizen-Science- und wissenschaftliche Crowdsourcing-Projekte, die im Internet oder als Apps zu finden sind. Dazu gehören zum Beispiel:

  • EU-Citizen.Science (siehe oben): eine Auswahl von Materialien im Zusammenhang mit der aktuellen Covid-19-Pandemie mit Links zu Citizen-Science- und Crowdsourcing-Projekten
  • CoKoNet: Das Institute of Science and Technology Austria hat ein interdisziplinäres Citizen-Science-Projekt initiiert, um Daten zu sozialen Interaktionen während der Coronavirus-Krise zu sammeln und zu analysieren.
  • Österreich bleibt daheim: Invenium, ein Spin-off der Technischen Universität Graz, unterstützt die österreichische Regierung dabei, aufkommende Covid-19-Hotspots durch Analyse der Bewegungen zwischen Gemeinden zu erkennen.
  • The Coronavirus Impact Dashboard: misst die Auswirkungen sozialer Distanzierung auf die Mobilität in Lateinamerika und der Karibik
  • COVID Near You: verwendet Crowdsourcing-Daten zur Visualisierung von Karten, um Bürgerinnen und Bürgern sowie Gesundheitsbehörden dabei zu helfen, aktuelle und potenzielle Hotspots für die Coronavirus-Pandemie zu identifizieren
 

Fazit: Aufmerksame, engagierte Bürger können die Welt verändern


Quelle: freepik.com

Citizen Science nützt allen! Die Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern nicht nur als Datensammelnde, sondern auch als Datengeber, -eigentümer und -broker unterstützt den gesamten Forschungs- und Innovationszyklus sowie die gemeinsame Ermittlung von Fakten.

Da es jedoch für lokale Verwaltungen viele Möglichkeiten gibt, Citizen Science zu forcieren, wäre es falsch, diesen Ansatz nur dann einzusetzen, wenn dies für sie „bequem“ ist. Das ist wichtig, da Citizen-Science-Aktivitäten immer mehr zunehmen und Verwaltungen nicht mehr die einzigen Urheber von Maßnahmen sind. Daher ist Zusammenarbeit und Kooperation das Nonplusultra, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Bürgerinnen und Bürger in der Regel hoch motiviert sind, sich zu beteiligen und sich zu engagieren, da sie so die Möglichkeit haben, direkt Input und Feedback zu geben.

Obwohl Citizen Science ein Methodendesign ist, das eine zunehmend wichtige Rolle in der informellen naturwissenschaftlichen Bildung spielt, besteht ein großer Bedarf, diese Wissenschaft im Green Deal und in zukünftigen Finanzierungsprogrammen wie Horizon Europe zu berücksichtigen.

Darüber hinaus muss Citizen Science klar als Begriff definiert werden. Sie sollte nicht als Allheilmittel angesehen werden. Auf der einen Seite ist sie ein wissenschaftlicher Ansatz und eine Forschungsmethode wie jede andere. Auf der anderen Seite kann die Bürgerwissenschaft als ein Prozess der Demokratisierung der Forschung angesehen werden, bei dem die Öffentlichkeit in verschiedene Phasen des Projektlebenszyklus einbezogen wird. Eine klare Kommunikation der Definition von Citizen Science ist außerdem erforderlich, da es sich um einen etablierten Begriff handelt und eine Verwechslung mit allgemeiner „öffentlicher Partizipation“ (zu der sie beitragen kann) vermieden werden sollte.

Und abschließend: Für eine Methode zur Einbeziehung von Bürgern und Interessengruppen in den Forschungsprozess war die Entwicklung des Konzepts in Horizon 2020 bisher nicht sehr inklusiv. Daher sollte die Europäische Kommission enger mit der bestehenden und aktiven Citizen-Science-Community zusammenarbeiten.

Bleiben Sie zu Hause! Schützen Sie sich! Bleiben Sie gesund!
Und werden Sie in Citizen Science aktiv!

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