EPOMM e-update August 2016
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Liebe Leser,

das Mobilitätsmanagement hat in Europa bereits viele Erfolgsgeschichten geschrieben. Ein systematischer Einsatz von Mobilitätsmanagement ist jedoch immer noch selten. Dies ist der ausschlaggebende Grund für die geringen Auswirkungen der bisherigen Erfolge im europäischen Maßstab. In diesem E-Update werden wir die wesentlichen Hindernisse untersuchen, die einer breiteren Umsetzung von Maßnahmen des Mobilitätsmanagements im Wege stehen oder diesen entgegenwirken. Zudem werden wir Beispiele aufzeigen, wie diese Barrieren überwunden werden können und alternative, wirkungsvollere Strategien benennen.

 

Kontraproduktive Gesetzgebung



Die zentrale Zielstellung des Mobilitätsmanagements ist es, das Mobilitätsverhalten und demnach auch den Modal Split zu beeinflussen. Trotzdem gibt es einige Beispiele kontraproduktiver Gesetzgebungen und Steueranreize, welche einen MIV-orientierten Lebensstil begünstigen. Dazu gehören beispielsweise ausschließlich auf den Pkw bezogene Pendlerpauschalen oder steuerliche Anreize für Firmenwagen als zusätzliche Leistung für Angestellte. Aktuelle Gesetzgebungen und Regelungen in Politik und Verwaltung sind im Bereich Mobilität zudem häufig sehr starr organisiert. Sie können daher oft nicht schnell genug auf neue und sich rasant entwickelnde Technologien und in der Folge entstehende Start-ups wie Uber reagieren. Diese bewegen sich zudem häufig auf rechtlich schwierigem Terrain Sharing Economy, um mit der Taxiindustrie mitzuhalten.

Lösungsbeispiel: Mobilitätsbudgets funktionieren (Belgien)

Viele Testprojekte haben den Erfolg von flexiblen Mobilitätsbudgets erwiesen: Angestellte bekommen ein Budget, welches sie für einen Mix von Verkehrsmitteln ausgeben können. Dies hat die Kilometeranzahl, die sie allein im Auto verbringen, reduziert – lesen Sie hierzu unser 2012 E-Update über das Mobilitätsbudget. Das belgische Finanzsystem hat zu einer hohen Anzahl an Leasing-Fahrzeugen geführt, und das Mobilitätsbudget könnte diese Entwicklung ausgleichen. Belgische Unternehmen favorisieren zwar keine verpflichtenden Regelung zur Einführung eines Mobilitätsbudgets auf nationaler Ebene - allerdings setzen sie sich für eine Vereinfachung der Gesetzeslage ein, da der administrative Aufwand für kleine und mittelständische Unternehmen viel zu groß ist. Vielleicht wird die jüngste Vorstellung des neuen Mobily Card Systems den Unternehmen dabei helfen, diese Barrieren durch die Bereitstellung eines aufwandsarmen Systems zur Einführung des Mobilitätsbudgets zu überwinden.

 

Kontraproduktive Strategien in der Flächennutzung


Foto von epSos.de CC BY 2.0

Die Flächennutzungs- bzw. Bauleitplanung ist ein weiterer Aspekt mit oft kontraproduktiven Regelungen. Beispiele sind Stellplatzsatzungen in Bauvorschriften oder exzessive Entwicklungen von MIV-orientierten Einkaufszentren in Stadtrandlage. Hinzu kommen Vorschriften zur Trennung der verschiedenen Nutzungsarten wie Wohnen und Gewerbe, welche die Entfernungen zwischen den Funktionen erhöhen. Lesen Sie mehr darüber in unserem E-Update zur Flächennutzungsplanung.

Lösungsbeispiel: Deregulierung des Parkens (Miami, USA)

2010 bewilligte Miami Ausnahmen bei der festgelegten Mindestanzahl an Stellplätzen, die für Neubauten im Stadtzentrum nachzuweisen sind. Dies führte zu einer drastischen Reduzierung der Baukosten und einer hohen Dynamik bei der Schaffung von Wohnraum in gut mit dem ÖPNV erschlossenen Vierteln. Im letzten Jahr wurden diese Ausnahmen auch auf einige kleinere Viertel außerhalb des Stadtzentrums ausgedehnt. Ziel war die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum im Einzugsbereich öffentlicher Verkehrsmittel und in fußgängerfreundlichen Stadtvierteln. Damit sollte u.a. die Bereitschaft von sogenannten ‚Young Urban Millennials’ – also den stadtaffinen unter den zwischen etwa 1980 und 1999 Geborenen - an einem autofreien Lebensstil unterstützt werden.

 

Mangel an Investitionen in ein nachhaltiges Mobilitätsangebot


Sehr schmaler Fahrrad/Fußgängerweg in Parma Foto KHP


Zurückgewinnen der Straße innerhalb von drei Wochen – Beispiel des New York Department of Transportation

„Die Veränderung von Präferenzen reicht nicht für eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens aus, denn individuelles Verhalten ist insbesondere auch von den verfügbaren Optionen abhängig.” Daniel Hertz, cityobservatory.org. Wenn Sie Zufußgehen, Fahrradfahren und öffentliche Verkehrsmittel (ÖV) fördern möchten, müssen zumindest einige grundlegende, sichere Infrastrukturen und komfortable Angebote vorhanden sein. Das bedeutet allerdings nicht, dass jede Straße z.B. eine separate Fahrradspur besitzen muss - eine verbreitete Fehlannahme Vieler, die Fahrradfahren wegen der dadurch „fehlenden Sicherheit“ nicht in Betracht ziehen. Die erhöhte mediale Aufmerksamkeit in Bezug auf Unfälle und Sicherheitswarnungen führt zu einer vermehrten (‚Angst vor der Gefahr‘), was dementsprechend nicht zur Bewältigung der Ängste führt.

Bei einer geringen Nutzung von ÖV, Rad oder Fuß sind die Entscheidungsträger weniger geneigt, in entsprechende Infrastruktur oder Dienstleistungen zu investieren. Im Umkehrschluss wird es dann schwieriger, weitere Nutzer zu gewinnen. Auch in Ländern wie den Niederlanden, das zum Paradies für Fahrradfahrer zählt, gibt es Beschwerden, dass nicht genug Budget für eine gute Fußgänger- und Fahrradinfrastruktur vorhanden ist. In allen Ländern fließt ein großer Teil der finanziellen Ressourcen in die Erhaltung und Aufwertung der Straßeninfrastruktur für den motorisierten Verkehr. Ein gutes Straßennetz ist natürlich wichtig für die Wirtschaft, allerdings gibt es dabei keine direkte Verbindung zwischen Straßeninvestitionen und dem Bruttoinlandsprodukt eines Landes (vergleiche dazu VTPI’s Artikel Are Vehicle Travel Reduction Targets Justified, 2013, S. 17). Ein weiteres Missverständnis ist, dass Stellplatzkapazitäten direkt mit dem Umsatz lokaler Geschäfte in Verbindung stehen (vergleiche dazu Giuliano Mingardo’s Präsentation zum Parkraummanagement bei dem CIVITAS Sommerkurs 2016). Hinsichtlich der Fußgängerfreundlichkeit wurde allerdings belegt, dass sie ökonomische Vorteile liefert, wie z.B. im Bericht zu Amerikas 30 größte Städte . Und wussten Sie, dass Sie auch durch Fotos, welche Einwohner über Social Media hochladen , Informationen zur Fußgängerfreundlichkeit der Straßen erfahren können?

Lösungsbeispiel: den Farbeimer herausholen

In New York City wurden fast schon über Nacht viele Straßensegmente und Parkräume durch Farbe und temporäre Materialien in attraktive Fußgängerzonen transformiert. Dieses Vorgehen überspringt langwieriges teures Design und Konstruktionsprozeduren und bringt den Praxisnachweis, dass ein fußgängerorientiertes Design besser funktioniert als die Prognose durch Verkehrsmodellierungen. Auf diese Weise wurde ein kleiner Parkplatz in Dumbo, Brooklyn, in einen Platz verwandelt, wodurch die Einzelhandelsumsätze um 172% gestiegen sind. Finden Sie dazu mehr im TED Talk mit Janette Sadik-Khan heraus.

 

Fragmentierung des Transportangebots


Foto vonDowntowngaleigene Arbeit, CC BY-SA 3.0


Oyster card, das berühmte Smart Card Ticketsystem in London. Foto vonWayne77 - eigene ARbeit, CC BY-SA 4.0

Nachhaltige Beförderungsarten können Sie oft nicht von Tür zu Tür bringen. Um mit dem Auto mithalten zu können, müssen Verkehrsmittel leicht miteinander kombinierbar sein, was sie oft jedoch nicht sind. Probleme können dabei lange Wartezeiten beim Umstieg oder lange Fußwege zwischen den einzelnen Beförderungsmitteln sein. Hindernisse können aber auch durch unterschiedliche Preisstrukturen, separate Ticketsysteme oder fehlende Informationen oder Beschilderungen in Stationen entstehen (lesen Sie hierzu die CIVITAS Summer Course Empfehlungen für die Maria Zambrano Station in Malaga: group 1, group 2).

Ein Labyrinth von Informationen, Tickets und Dienstleistungen werden insbesondere in Städten mit vielen ÖV-Anbietern deutlich. Viele Städte haben bereits integrierte Ticketsysteme für den ÖV, zum Beispiel basierend auf einer einzigen Smart Card. Es gibt jedoch bisher wenige Beispiele, bei denen auch andere Beförderungsarten wie Leihfahrräder, Car Sharing oder Taxis in die Reiseauskunft und –buchung in gleicher Weise eingebunden sind. Die Interessen von unterschiedlichen Anbietern einzufangen und deren Angebot in klare und einfach verständliche Informations- und Ticketsysteme zu überführen ist offensichtlich eine komplexe und zeitraubende Angelegenheit. Zudem gibt es keinen europäischen oder globalen Datenstandard, der die Kompatibilität von Informationssystemen unterschiedlicher Anbieter sicherstellen würde.

Lösungsbeispiel: Integration von verschiedenen Verkehrsmitteln in der Bahnstation von Clermont-Ferrand

Die französische Stadt Clermont-Ferrand hat bereits begonnen, ihren wichtigsten Verkehrsknotenpunkt weiterzuentwickeln. Daraus resultierten direkte, erreichbare und sichere Verbindungen zwischen den lokalen und den regionalen öffentlichen Verkehrsmitteln, eine Fahrradverleihstation, Fahrradstellplätze und ein Taxiparkplatz direkt vor der Station. Auf diese erste Phase folgend, entwickelte die Stadt das Innenleben der Station weiter (2015-2018) und erhöhte außerdem die Anzahl der Parkplätze von 250 auf 420. Ein weiterer Teil der zweiten Phase ist das Integrieren von Fahrgemeinschaften.

Lösungsbeispiel: Mobilität als Dienstleistung (MaaS)

Ohne Zweifel ist DAS Wort des letzten Jahres MaaS. Das Konzept impliziert ein vollständig integriertes Transportangebot, vergleichbar mit den Tarifplänen der Mobiltelefonanbieter. Erste Schritte zur Implementierung wurden hierzu bereits in Finnland getroffen.

 

Überwindung von Skepsis und Widersprüchen


Temporäres Experiment auf der Ansprachlaan in Brüssel.

Menschen mögen normalerweise keine Veränderungen. Große infrastrukturelle Maßnahmen können große Protestbewegungen provozieren und Entscheidungen jahrelang hinauszögern (z.B. in Antwerpen, Belgien). Auch bei kleinen Infrastrukturprojekten versuchen Einwohner (der nimby Effekt) oder ortsansässige Geschäftsinhaber entgegenzuwirken, da sie Ertragsverluste während und nach der Bauphase fürchten.

Auf unterschiedlichen politischen Ebenen existieren außerdem Unsicherheiten darüber, wie mit der Öffentlichkeit umgegangen werden soll und wie öffentliche Unterstützung für grundlegendere Veränderungsprozesse erreicht werden, die für die Realisierung einer kohlenstoffarmen Zukunft von zentraler Bedeutung sind. Sehr oft kommunizieren die Behörden erst sehr spät, wenn Entscheidungen bereits getroffen wurden oder benutzen Öffentlichkeitsbeteiligungen nur als „Windowdressing“. Eine vielversprechende neue Möglichkeit, um Bewohner einzubinden, ist der sogenannte Partizipation2.0-Ansatz, bei dem ICT für die Interaktion benutzt wird. Lesen Sie hierzu auch den CIVITAS Kurzbericht zu der Nutzung von Social Media um Einwohner zu involvieren, die Präsentation zu Planungen durch Crowdsourcing von Andrew Nash oder das ENDURANCE E-Update zu Partizipation 2.0 .

Lösungsbeispiel: Temporäres Experiment in Brüssel

Als Brüssel im letzten Jahr seine autofreie Zone auf der Anspachlaan einführte, sollte es nur ein zeitweiliges Experiment werden. Ähnlich wie bei dem Vorgehen in New York (siehe oben) wurde die Straße mit temporären Strukturen, wie Holzbänken, Pétanque-Plätzen und Tischtennisplätzen ausgestattet. Nach einem Jahr der Versuchsphase wurden Teile der Zone, wie De Brouckereplein aufgrund von Beschwerden der lokalen Geschäfte den Autos wieder zugängig gemacht.

Lösungsbeispiel: der Straßenbau Survival Guide in Madison City, U.S.A.

Das Madison’s Chamber of Commerce hat herausgefunden, dass die Einnahmen bei 68% der befragten Geschäfte während eines Straßenbauprojekts zurückgingen. Davon gaben außerdem 54% an, dass ihr Geschäft nach der Beendigung des Straßenbaus nicht mehr zu dem früheren Level zurückkehren konnte und die Einnahmen bei manchen sogar weiter sanken. Dies bildete die Grundlage für den Survival Guide, welcher vom Stadtrat herausgebracht wurde und viele Tipps für ortsansässige Ladenbesitzer beinhaltet um ihr Geschäft während der Bauarbeiten aufrechtzuerhalten.

 

Eine Menge Arbeit liegt vor uns!


EPOMM empfiehlt Mobilitätsmanagement auf dem informellen Treffen der Europäischen Verkehrsministerkonferenz in Amsterdam

Dies waren nur einige der Barrieren, welche die Einführung von Mobilitätsmanagement (MM) bzw. dessen Erfolg auf „großer Bühne“ behindern. Weitere Probleme sind:

  • eine komplizierte oder kaum existierende Förderkulisse für das MM – siehe dazu unser E-Update zum Thema Finanzierung
  • Fragmentierung in der Verwaltung, Mangel an Kooperation und Know-how – siehe dazu das ENDURANCE E-Update zum Thema Kooperation
  • Das Rad neu erfinden oder Fehlen eines systematischen, großräumigen oder langfristigen Vorgehens
  • Mangel an Monitoring und Evaluation, um Ergebnisse zu erkennen – siehe dazu das ENDURANCE E-Update zum Thema Monitoring und Evaluation
  • Fehlen von nationalen, regionalen, lokalen und standortspezifischen Modal-split-Zielen
  • Mangel an EU-Standards, um den Modal Split zu messen – schwierig für Städten, Länder und Regionen, sich auf europäischer Ebene einzuordnen.

Den meisten Entscheidungsträgern und auch vielen Experten ist unklar, was Mobilitätsmanagement eigentlich ist, was für einen Einfluss es haben könnte und wie es zu den Verkehrszielen der EU beitragen kann. EPOMMs Mission ist es, das Bewusstsein über das Konzept zu stärken und die Bedeutung und die Rentabilität durch MM zu fördern. Wie bereits in der Declaration of Utrecht im letzten Jahr angekündigt, arbeitet EPOMM an einem europäischen Masterplan, um MM fester in nachhaltigen Mobilitätsstrategien zu verankern. Selbst in Zeiten, in denen sich die Debatte durch Themen wie die Elektrifizierung von Transportmitteln und fahrerlose Autos in eine eher technologiegetriebene Richtung bewegt, ist das Mobilitätsmanagement immer noch der Kitt, der die einzelnen Aspekte und Maßnahmen nachhaltiger Mobilität zusammenhält (lesen Sie dazu EPOMM’s Athens Resolution).

 

Bevorstehende Events

 
  • CIVITAS Forum Conference
    28.-30. September 2016 - Gdynia, Polen
    www.civitas.eu
  • European Transport Conference
    5.-7. Oktober 2016 – Barcelona, Spanien
    www.etcproceedings.org
  • Act TravelWise Annual Conference – ‘Sustainable Travel in a Changing World’
    17. Jänner 2017 – Birmingham, England
    www.acttravelwise.org (papers submission deadline: 31 August)

Für weitere Events können Sie gerne den EPOMM Calendar besuchen.

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