EPOMM e-update November 2018
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Liebe Leserin, lieber Leser,

kostengünstige temporäre Interventionen in Wohngegenden tragen wesentlich dazu bei, innerhalb von nur wenigen Tagen oder Wochen Straßen und Plätze von Stadtvierteln lebenswerter zu machen. Der sehr zugkräftige Sammelbegriff „Taktischer Urbanismus“ (aus dem Englischen: „Tactical Urbanism“) wurde in Nordamerika geprägt und wird zunehmend auch in nichtamerikanischen Städten verwendet. Sehr häufig werden solche Taktiken bottom-up gestartet, nämlich als bis zu einem gewissen Grad subversive Aktionen, initiiert von der Lokalbevölkerung bzw. von Aktivisten. Vermehrt werden diese Eingriffe auch von Stadtplanern und Gemeinden eingesetzt, um neue Ansätze zu testen und sehr schnell sichtbare Ergebnisse zu erreichen.

Wir hoffen, dass wir Ihnen mit diesem EPOMM e-update neue Inspirationen und Einblicke geben können zum Thema „Planning by doing“.

 

Eine internationale Bewegung


Tactical Urbanist’s Guide to Materials and Design, 2016

Tactical Urbanist’s Guide to Materials and Design, 2016 Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat sich der taktische Urbanismus zu einer internationalen Bewegung entfaltet, die einen tiefgreifenden Wandel in der Art und Weise ausgelöst hat, wie Gemeinden über Projektentwicklung und -implementierung denken. Siehe auch dieses informative Video mit Beispielen unter anderem aus Boston, Vancouver und Rotterdam.

Laut Myke Lydon von Street Plans Collaborative „ist das Ziel, nicht einfach nur ein cooles Projekt zu machen, das danach von der Stadt aufgeräumt oder entsorgt wird, sondern etwas zu kreieren – selbst wenn es nur temporärer Natur ist –, das die Funktionsweise und Wahrnehmung eines Platzes verändert. Und, sobald diese Veränderung eingetreten ist, sich zu überlegen, wie man dieses Neue wiederholbar bzw. dauerhaft machen kann.“

Tactical Urbanist Guides stehen zum freien Download zur Verfügung.

 

Von Parkplatz zu Park


Foto: Norbert Michalke - Quelle: upperbike.com

Linguistisch gesehen eng miteinander verbunden, aber in der Praxis und Wirklichkeit meilenweit entfernt. Oder doch nicht?

BürgeraktivistInnen auf der ganzen Welt verwandeln Parkplätze einen Tag lang zu wunderbar designten Miniparks, um den vermehrten Bedarf an urbanen Grünflächen aufzuzeigen. Diese Idee hat ihre Wurzeln in San Francisco, wo erstmals ein gebührenpflichtiger Parkplatz zu einem temporären Minipark umgewandelt wurde. Heutzutage ist diese Aktion weltweit verbreitet und bekannt unter dem Begriff „PARK(ing) Day“, und zwar an jedem dritten Freitag im September. Googeln Sie einfach „World Parking Day“ und Sie werden begeistert sein.

Dieser Ansatz, ursprünglich ein Bottom-up-Projekt (wie in Berlin, siehe auch Info auf Deutsch), wird mittlerweile von zahlreichen europäischen Städten unterstützt. Aktuelle Beispiele dazu gibt es von Oslo und Wien: Die Stadt Oslo hat sich das ehrgeizige Ziel gesteckt, Europas erste komplett autofreie Hauptstadt zu werden. Neben der Beschränkung des Autoverkehrs im Zentrum stellt die Reduzierung von Straßenparkplätzen in der Innenstadt einen wesentlichen Teil des Plans dar. Wien fördert die Errichtung von sogenannten Parklets für jeweils eine Saison. Interessierte BürgerInnen können dafür Anträge einreichen und werden beim Bauprozess unterstützt.

 

Rope: Ein Tool für Demokratie und aktive Bürgerschaft


Quelle: iefspincemaille.com/ROPE

Quelle: iefspincemaille.com/ROPE Ein neues Tool für Demokratie und aktive Bürgerschaft hat Lef Spincemaille, bildender Künstler und Bühnenbildner aus Belgien, 2017 erschaffen.

Im Zentrum dieses Experiments, das auf die Imagination und Veränderung des öffentlichen Raumes im menschlichen Maß fokussiert, befindet sich ein Kunstwerk mit dem Titel „Rope“. Tatsächlich handelt es sich um ein Seil mit 65 m Länge, einem Durchmesser von 30 cm und einem Gewicht von 196 kg.

Konzipiert als ein offenes Designwerkzeug zur Neuinterpretation von öffentlichem Raum für Menschen besitzt Rope vier implizite Funktionen:

  • Agora: Da die Agora das pulsierende Herz der Wohnviertel und der Stadt war, will Rope diese Funktion in unseren modernen (smarten) Städten neu beleben.
  • Demokratie: Rope ist nicht Teil einer politischen Partei oder eines politischen Zwecks. Es ist ein unvoreingenommener Zuschauer, der nicht durch bestehende Protokolle oder Gewohnheiten eingeschränkt ist und der versucht, die Welt zu verstehen.
  • Imagination: Wo Rope auftaucht, sorgt es für eine Störung des vorhandenen öffentlichen Raumes und schafft so Platz für neue Ideen.
  • Werkzeug: Es ist ein Rapid-Prototyping-Tool zum Testen von Ideen. Verbindungen werden geknüpft, temporäre Radwege abgegrenzt – die Möglichkeiten, Formen und Funktionen von Rope sind nur durch die Vorstellungskraft begrenzt.
 

Sei ein Gorilla … für Städte, Straßen und Wohnviertel in menschlichem Maßstab


Quelle: iedereengorilla.be

„Iedereen Gorilla“ ("Everybody a Gorilla") inspiriert, stärkt und unterstützt Bürger, die kleine temporäre Aktionen im öffentlichen Raum auf lokaler Ebene durchführen. Gorilla-Aktionen stellen den Anspruch des motorisierten Verkehrs auf den öffentlichen Raum infrage. Iedereen Gorilla gibt den Menschen den öffentlichen Raum zurück und kämpft um Platz für nachhaltigen Verkehr und Verkehrssicherheit, Platz für soziales Leben, Platz für die Natur.

Diese lokalen Aktionen sind nicht nur als Lösung für die jeweiligen Probleme gedacht, sondern auch als Signale an die lokale Regierung. Iedereen Gorilla ist besonders in kleinen Gemeinden in Flandern aktiv und möchte lokale Politiker motivieren, sich für Bürgerinitiativen zu öffnen und diese zu erleichtern. Ein weiteres Ziel ist, ein Netzwerk von Gorillas zu schaffen und gleichzeitig einen freien öffentlichen Raum zu fordern, denn dort findet der Zauber der Demokratie statt. Die Gesellschaft verändert sich ständig und nicht jede gute Idee muss in einer bürokratischen Struktur festgehalten werden. Die Erfolgsfaktoren von Iedereen Gorilla sind positive Aktionsweise, Gruppenidentität und Anonymität, da Gorillas unter ihrem Gorillanamen operieren.

 

Experimentelle Veränderung zur Schaffung eines bespielbaren Viertels


Quelle: Landeshauptstadt Kiel, Tiefbauam

Seit 2017 ist die Stadt Kiel eines von vier Demonstrationsprojekten im Bereich des Forschungsfelds Aktive Mobilität in städtischen Quartieren im Bundesprogramm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau.

Das Thema dieses Demonstrationsprojekts ist die Schaffung eines bespielbaren Viertels. Mit experimentellen Veränderungen im öffentlichen Raum und auf der Straße sollen diese zunächst temporären Maßnahmen die aktive Mobilität unterstützen.

Diese experimentellen Änderungen wurden speziell entwickelt, um Kindern die Nutzung des öffentlichen Raums zum Spielen zu ermöglichen. Unter Beteiligung der BürgerInnen wird in diesem Jahr ein Fahrradabstellplatz errichtet, um den Autoverkehr in der Kieler Kuhle zu blockieren. Außerdem wird die Verkehrsinsel in der Wellingdorfer Straße zu einem Outdoor-Wohnzimmer umgebaut. Zusammen mit KünstlerInnen wurde die Verkehrsinsel einladend und farbenfroh designt, sodass BürgerInnen einander gerne dort treffen und Kinder sie zum Spielen nutzen können.

Nach Evaluierung der temporären Aktionen sollen diese Bereiche im Jahr 2019 mit dauerhaften Maßnahmen verändert werden.

 

Die Zeit ist reif und die Menschen sind hungrig nach …


Quelle: lendwirbel.com

Seit 2006 findet im Bezirk Lend in Graz ein mehrtägiges Straßenfestival statt, das sich durch Selbstorganisation, Gemeinschaft und Offenheit auszeichnet.

Das Festival Lendwirbel motiviert über 100 Akteure, sich mit den Themen Nachbarschaft, Nutzung des öffentlichen Raums, Stadtentwicklung, Kunst und kontroverse Fragestellungen in verschiedenen Handlungsformen auseinandersetzen, etwa durch Performances, Installationen und Diskurse. Im Mittelpunkt stehen die Frage nach dem bestmöglichen gemeinsamen Leben und Arbeiten in der Stadt, die Förderung der spielerischen Nutzung des öffentlichen Stadtraums und die Schaffung kollektiver Räume jenseits von Kommerzialisierung und Ausgrenzung.

Interessanterweise ist der Verein hinter Lendwirbel nun auch Partner im EU-Projekt Metamorphosis, das verschiedene Taktische-Urbanismus-Ansätze unterstützen und weiterentwickeln will. Konkret werden in diesem Rahmen mobile Parklets, temporäre Straßensperren vor Schulen, Straßenfestivals, Straßenpartys und alternative Straßennutzungen entwickelt. Darüber hinaus ist es Projektziel, die Durchführung von temporären Ansätzen sowie deren dauerhafte Etablierung zu erleichtern. Siehe auch Beispiele und faszinierende Bilder auf der Website.

 

Taktischer Urbanismus und Mobilitätsplanung


Erstellt von Ijeab - Freepik.com

In ihrer MastertheseTactical Sustainable Mobility: The Opportunities And Challenges of Using Tactical Approaches to Advance the Implementation of Sustainable Mobility Projects“ (Taktische nachhaltige Mobilität: Chancen und Herausforderungen der Verwendung von taktischen Ansätze zur Förderung der Umsetzung von nachhaltigen Mobilitätsprojekten) verwendet Chloe Mullin von der Aalborg Universität „taktisch nachhaltige Mobilität" als analytische Linse, um nachzuvollziehen, wie sich Stadtplaner derzeit einer nachhaltigen Mobilitätsplanung auf kommunaler Ebene nähern.

Mullin kommt u. a. zu folgendem Schluss: "Obwohl [...] Stadtplaner taktische Ansätze nutzen, um Möglichkeiten für eine nachhaltige Mobilitätsplanung zu schaffen, ist es weiterhin unklar, welche Rolle ein Planer bei taktischen Projekten einnehmen sollte und wie Bürger in diesen Prozess eingebunden werden können, um die Vorteile zu nutzen, die taktische nachhaltige Mobilität bieten kann, einschließlich einer höheren Effizienz und mehr Demokratie in Planungsprozessen sowie der Kreativität der Bürger."

Die Arbeit von Mullin könnte dazu beitragen, weitere Denkanstöße zu alternativen Ansätzen zu geben, um nicht nur die Ziele der Städte, sondern auch die ehrgeizigen Vorgaben der Europäischen Kommission in Bezug auf alternative Kraftstoffe und Emissionsreduktion in städtischen Gebieten zu erreichen.

 

Fazit: Taktischer Urbanismus und das Recht auf Stadt


Quelle: archandphil.wordpress.com

Wird aus den verschiedenen taktischen Initiativen eine alternative urbane Realität entstehen, die eine neue Art von Stadt zulässt, so wie sie durch Lefebvres „Recht auf Stadt postuliert wird? Eine Straße für Menschen zu sperren, ein Möbelstück auf der Straße zu installieren, einen Parkplatz in einen Park umzuwandeln - solche Besitznahmen lassen durchaus auf alternative Möglichkeiten des Stadtraums schließen. Und diese Taktiken ermöglichen es tatsächlich, die Rolle der Behörden bei der Gestaltung und Kontrolle von Raum infrage zu stellen.

Als Grassroots-Bewegung lässt der taktische Urbanismus erahnen, wie selbstorganisierter öffentlicher Raum aussehen könnte. Wenn er außerdem noch auf top-down Unterstützung trifft (wie es in New York City bereits seit Längerem der Fall ist – siehe dazu die Website von Janette Sadik Kahn), können wir auf eine urbane Revolution hoffen und sie wohl auch erwarten.

 

Kommende Veranstaltungen

  • 2018 Polis Conference
    22.-23. November 2018 | Manchester, UK
    polisnetwork.eu/2018conference
  • Urban Transitions 2018
    25.–27. November 2018 | Sitges, Spanien
    elsevier.com
  • Innovation and Change in Mobility Management: What's New and What's Next?
    Act TravelWise Annual Conference & AGM

    31 January 2019 | Birmingham, United Kingdom
    acttravelwise.org

For more events, please visit the EPOMM calendar.

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